[dropcap size=small]“T[/dropcap]eenie-Horror“ ist eine Wortneuschöpfung die manchen Kritikern bloß ein müdes Gähnen hervorrufen müsste. Doch was im Filmsektor schon längst zu Tode getreten wurde, ist in der magischen Wunderwelt der Videospiele noch immer ein Novum. „Obscure“ war zu seiner Zeit ein Spiel, das trotz oder gerade wegen seines Teenie-Szenarios zu einem Überraschungshit aufsteigen konnte. Eine Überraschung ist der Nachfolger in vielerlei Hinsicht allerdings nicht.

Zwei Jahre sind seit den Ereignissen in Leafmore vergangen. Shannon und Kenny studieren zwischenzeitlich, während Stan sich mit einem Job bei einem Lieferservice über die Runden schlägt. Doch das wilde Studentenleben soll an der Universität bald ein Ende finden, als merkwürdig aussehende Pflanzen, die vorher bereits überall mehr oder weniger unbemerkt an allen Ecken des Campus gewachsen sind, ihre Knospen öffnen und tiefschwarze Sporen sämtliche Studenten befallen. Bei allergischen Reaktionen soll es nicht bleiben: Die jungen Menschen mutieren zu schrecklichen Monstern – was offenbar damit zu tun hat, dass die Pflanze sich schon vorher zu einer weit am Campus verbreiteten Droge etablierte. Während die Protagonisten aus dem ersten Spiel bereits zu ahnen beginnen, was derzeit geschieht, werden neue Charaktere ebenfalls in die Ereignisse hineingerissen.

Ich weiss, was du im letzem Prequel getan hast

[column size=one_half position=first ]Wie bereits an der Kurzbeschreibung zu erahnen strotz die Hintergrundgeschichte nicht gerade mit inhaltlichen Rafinessen und für interllektuelle Diskussionsrunden geeignete Themen. Mitnichten, wie bereits im Prequel ist die Stärke von „Obscure 2“ eher in dem Style zu finden. Figuren und Handlungsverlauf bleiben stehts stark an der Oberfläche, was es nicht nur einfach macht, die zugegebenermaßen etwas bekloppte Handlung zu verfolgen, sondern auch voll und ganz seinem Teenie-Setting nachkommt. Glücklicherweise haben die Entwickler auch sonstige Eigenschaften gekonnt übernehmen und überzeugend in ihr Spiel implementieren können. So sind sämtliche Figuren 1:1 transportierte Stereotypen aus dem Filmgenre: Es gibt beispielsweise die dunkel gekleidete Goth, den leicht verrückten Videospielfreak oder den akrobatischen Skater. Manche Charaktere sind sogar etwas zu gut getroffen, so dass man meinen könnte, sie schon einmal als einem Schauspieler aus Fleisch und Blut gesehen zu haben.[/column]

[column size=one_half position=last ]Ebenfalls haben sämtliche zu erwartenden Grundthemen ihren Weg ins Spiel gefunden. Es geht um Sexualität, Herkunft, Verlust und Freundschaft. Angesichts der oberflächlichen Figuren fällt es etwas schwer, sich von den Emotionen mitreissen zu lassen, doch fühlt man sich gegen Ende des Spiels mit manchen Charakteren durchaus verbundener, als es in den meisten anderen Spielen der Fall ist. Das geschieht besonders durch einen einfachen, aber effektiven Trick: Während des Spiels sind stehts zwei Charaktere gleichzeitig unterwegs. Während das Geschehen voranschreitet, führen beide Figuren zahlreiche Gespräche, die viel Information über deren Innenleben preisgeben. Lobenswert ist, dass dadurch vor allem Humor und der gewisse Schuss Selbstironie eingestreut wird, der dem gesamten Teenie-Flair erst die gewisse Würze verleiht. Dabei sind die Dialoge von den Synchronsprechern völlig unverkrampft und professionell gesprochen worden, was die Gespräche nicht nur unterhaltsam, sondern in dem in dem Rahmen des gegebenen Subgenres sogar überraschend überzeugend macht.[/column]

 

Im Zusammenhang mit dem sehr treffenden Art-Design wurde auch beim Pacing fast alles richtig gemacht. Im Verlauf des Spiels werden mannigfaltige Orte besucht, die allesamt sehr stimmungsvoll und vor allem mit Liebe zu Detail gestaltet worden sind. Aufhalten tut man sich an einem Ort nie zu lang; ebenso werden ausufernde Laufwege oder unmotiviert platzierte Räume vermieden, soll dass das Spiel nie Gefahr läuft, den Spieler zu langweilen. Es ist außerdem schön zu sehen, dass im Zeitalter aufgeblasener HD-Grafiken verwöhnte Augen noch mit detaillierten Umgebungsgrafiken, gezielt eingesetzten Lichteffekten und sehr gelungenen Animationen überzeugt werden können. Na gut, die Texturen sehen vielleicht nicht so schön aus, aber das Gesamtbild stimmt.
Den grössten Pluspunkt bei der Präsentation hat sich allerdings der Soundtrack verdient. Der Komponist Oliver Deriviere war bereits für die musikalische Untermalung des Vorgängers verantwortlich und hat mit dem der Fortsetzung ordentlich dazugelernt. Mit Geigen, Kinderchor und Rockmusik hat er eine Mischung geschaffen, die bei dem National Videogame French Festival eine Nominierung für die beste Musikuntermalung in einem Videospiel wert war. Zu recht, denn die Kompositionen gehen selbst außerhalb des Genusses von dem eigentlichen Spiel gehörig unter die Haut.

Weich aus, wenn du kannst!

Gameplaytechnisch hat sich gegenüber dem Vorgänger nur marginal etwas verbessert, dafür aber zumindest an den wenigen Eckpunkten in die positive Richtung. So sind die Sonderfähigkeiten der Charaktere, die an ganz bestimmten Stellen eingesetzt werden wollen und notwendig für das Weiterkommen sind, etwas vielseitiger ausgefallen und mit durchaus launigen Minispielen realisiert worden. Beim Knacken von Schlössern muss ein Draht sanft durch das Schloss geführt werden, während an anderen Stellen zerrissene Karten zusammengepuzzelt werden müssen. Auch Passwörter wollen geknackt und Schaltkreise überbrückt werden. Generell ist die gehirnakrobatische Komponente von „Obscure 2“ spürbar vorhanden, angenehm verteilt und vielfältig, aber niemals besonders anspruchsvoll. Meist sind die, naja, nennen wir sie ruhig mal „Rätsel“, relativ offensichtlich und sollten selbst unerfahrenen Spielern nicht allzuviele Kopfschmerzen verursachen.
Bei der Actionkomponente ist „Obscure 2“ diesmal allerdings ordentlich ins Fettnäpfchen getreten. Im Gegensatz zum Vorgänger stellt dieser Teil des Gameplays sogar einen Rückschritt dar: Generell ist nur stumpfes Draufknüppeln gefragt. Und da es noch nicht einmal unterschiedliche Angriffsmöglichkeiten – abgesehen von den verschiedenen Waffenarten – gibt, ist man erst recht lediglich damit beschäftigt, den Gegner anzuvisieren und die Angriffstaste zu hämmern. Das Manko hatte der Vorgänger zwar auch schon, aber: Um den Gegner herum laufen oder Schritte zurück bringen in den wenigsten Fällen etwas, da diese meist viel zu flink sind, als das sich die Flucht in irgendeiner Form auszahlen würde.

Das grösste Übel ist allerdings die Kameraführung. Die besteht sowohl aus festgelegten Perspektiven- und Fahrten (die in vielen Fällen sehr cineastisch aussehen), als auch einer frei beweglichen Ansicht, die der Spieler kontrollieren kann. Das Spiel wechselt munter und ohne Vorwahrnung zwischen den Darstellungsarten. Dies bereitet bereits bei der eher ruhigen Exploration einige Schwierigkeiten, indem sie das Geschehen manchmal aus einem unglücklichen Winkel darstellt und somit wichtige Gegenstände leicht übersehen werden können. Bei Kämpfen geht jedoch jede Übersicht sehr leicht verloren, da die Kamera den anvisierten Gegner fixiert. Springt dieser wie von der Tarantel gestochen durch die Weltgeschichte oder fliegt sogar über die eigene Spielfigur hinweg, hält die Kamera trotzdem noch gnadenlos drauf. Im Zusammenspiel mit dem eben erwähnten „Draufknüppel“ werden viele Kämpfe zu einem unmotiviertem Glückspiel. Nicht, dass man von einem Survival Horror-Spiel ein großartiges Kampfsystem erwarten würde, aber wenn wie im Falle von „Obscure 2“ sogar die Übersicht regelmäßig flöten geht, ist der Ofen schlicht aus.

Zweisamkeit

Leider hat der talentlose virtuelle Kameramann auch bei dem ansonsten sehr gelungenen und vor allem einzigartigen Zweispieler-Modus seine Griffel im Spiel. Konzentrieren tut sich die Sicht lediglich auf einen Charakter, weshalb der andere durchaus im wahrsten Sinne des Wortes manchmal nicht im Bilde ist. Ansonsten ist es eine besondere Erfahrung zu zweit das Teenie-Abenteuer zu bestehen, da sinnvolles kooperatives Zusammenspiel zwingend notwendig ist. Lobenswert ist außerdem, dass der zweite Spieler jederzeit sein Pad aus der Hand legen kann. Der Computer spielt in der Zeit einfach für ihn weiter, bis er wieder einsteigt. Leider besitzt die AI die einen oder anderen Schwächen, ist also lebensmüde und hat von sparsamen Munitionseinsatz noch nie etwas gehört.

„Form follows function“ ist eine Formel, die bei Videospielen auf Dauer meist nicht funktioniert. Insofern zieht „Obscure 2“ selbst als Survival Horror-Spiel – einem Genre, in dem es samt und sonders auf die Gestaltung und die Dramaturgie ankommt – leider gegenüber seinem Vorgänger den Kürzeren. Aber das macht es noch nicht zum schlechten Spiel, lediglich zum schlechteren. Den Entwicklern ist ein höchst unterhaltsames, mit Hommagen an das Teeniehorror-Genre geprägtes Spiel gelungen. Das erreicht in seinen besten Momenten zwar auf der Zitterskala gerade mal die mittleren Werte und hat beim Gamplay seine Defizite, aber es ist immer noch stimmig und einzigartig genug, um für Freunde des Horrorgenres einen Blick wert zu sein – und für Fans des Vorgängers sowieso.

Ein kleiner Hinweis übrigens an alle ungeduldigen Spieler, die beim Anblick eines Abspannes direkt ihre Konsole ausschalten: Das Spiel geht nach den Credits noch ein ganzes Stück weiter …

Obscure 2
Schwächerer Nachfolger im gleichem postmodernen Teenie Horror-Szenario, das in einigen inhaltlichen, wie technischen Aspekten mehr Feinschliff hätte vertragen können.
audiovisuelle Präsentation8
Realisierung der Spielmechanik6
inhaltliche Gestaltung und dramaturgische Aufbereitung7
7Gesamtwertung
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