[dropcap size=small]U[/dropcap]m herauszufinden, wohin du gehst, musst zu dorthin zurückgehen, von wo du hergekommen bist. Diese Weisheit scheint die Grundprämisse für „Silent Hill: Origins“ zu sein, denn es wird nicht nur die Ursprungsgeschichte des Horroruniversums erzählt, sondern es sind auch all die Elemente vorhanden, die einzelne Episoden der Serie so einzigartig gemacht haben. Der Vergleich mit Origins als Wurzel für einen Baum, dessen Äste jeweils einen Sprössling der Reihe repräsentieren, ist gar nicht so unangebracht. Auch wenn diese paradoxerweise erst nachträglch angewachsen ist.

Die Entwicklung stand längst nicht unter einem guten Stern. Als in Pressemeldungen bekannt gegeben wurde, dass nicht mehr das japanische Team Silent mit dem PSP-Ableger beauftragt werden würde, sondern das amerikanische Team von der Climax Group, sahen die Fans schlicht Land unter. Die Situation besserte sich nicht, als die ersten Videos zum Spiel auftauchten: Zu sehen waren Spielszenen, die eher an den großen Zombiekonkurrenten Resident Evil 4 erinnerten, als an den abstrakten Horror Silent Hills. Das bewog die Produzenten radikal umzudenken. Kurzerhand wurde das Entwicklerstudio zu einem Team von Climax in England gewechselt, das bisherige Konzept verworfen und die Meinung der Fans eingeholt. Mit Erfolg, denn „Origins“ ist nicht nur ein großartiger Ableger der Serie geworden, sondern hat auch die Kraft und Vitalität einer Hommage. Das Spiel ist eine Weiterentwicklung und eine Liebeserklärung zugleich. Ein Geschenk an die Fans und eine Bereicherung für das Genre.

nebelige Straßen

Im Zentrum des Prequels steht der Trucker Travis Grady, dessen Route an Silent Hill vorbeiführt. Während er auf der Fahrt – der Stadt näherkommend – von Bildern aus seiner Vergangenheit als Junge geplagt wird, stolpert eine verhüllte Gestalt auf die Straße, die Travis dazu zwingt eine Vollbremsung zu machen. Als er aussteigt um die Lage einzuschätzen, taucht eine geisterhafte Mädchengestalt auf, die sich in die Richtung der Kleinstadt bewegt. Travis folgt ihr und erreicht ein brennendes Haus, aus der er ein verbranntes, aber noch lebendes Kind rettet. Seine mutige Aktion kostet ihn allerdings viel Kraft. Er bricht zusammen und wacht auf einer Parkbank im nebeligen Silent Hill wieder auf. Die Straßen sind abgebrochen, sämtiche Auswege versperrt, und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als Antworten auf seine Fragen zu finden: Wer ist dieses Mädchen? Hat sie überlebt? Und warum werde ich diese Bilder aus meiner Vergangenheit plötzlich im Kopf?

Die Aspekte einer Hommage werden sicherlich nur Kennern deutlich ins Auge fallen, doch die werden schnell erkennen, dass viele Elemente bisheriger Silent Hill-Spiele eingebaut wurden. Dies reicht von kleineren Seitenhieben bis hin zu Räumen oder Kameraeinstellungen. Das Monsterdesign etwa ist stark von dem zweiten und vierten Teil der Serie inspiriert, während psychologische Aspekte aus „The Room“ – Voyerismus, Sexualität – entnommen worden sind. Trotzdem wirken diese Bestandteile nicht einfach kopiert, sondern integrieren sich in die eigenständige Geschichte rund um Travis Grady und sind so modifiziert worden, dass man ihnen Eigenständigkeit nicht absprechen kann. Bemerkenswert ist besonders, dass die Handlung nicht nur den religiösen Sekten-Aspekt behandelt, sondern sich auch viel mit dem Hauptcharakter selbst beschäftigt. Travis ist nicht einfach Spielball eines Konflikts, wie es manche Charaktere aus den anderen Spielen waren. Seiner Vergangenheit wird viel dramaturgisches Gewicht verliehen und sie ist der ständige Hauptantrieb für ihn. Die Tiefe der Figur Travis geht weit über die Klischee-Schablone eines Truckers hinaus, wobei ihm etwas mehr Selbstreflektion in seiner ungewöhnlichen Lage gut zu Gesicht gestanden hätte. Travis kommentiert zwar mit einer persönlichen Note einige Dinge, die er in seiner Umgebung sieht, aber nicht immer die ausschlaggebensten. So verliert er beim Töten des ersten Monsters ebensowenig ein Wort wie beim Anblick der abgebrochenen Straßen. Glücklicherweise beschränkt sich dieser Mangel lediglich auf die in der Welt von Silent Hill bereits bekannten Eigenheiten, was vermuten lässt, dass den Entwicklern dies auch schon so selbstverständlich vorkam, dass sie es schlicht vergessen haben.

Was die anderen Charaktere betrifft, so hat man sich offenbar darauf verlassen, dass diese bereits dem Publikum bekannt sind. Die verführerische Krankenschwester Lisa, der schwer einschätzbare Dr. Kaufmann, die geisterhafte Alessa und die exzentrische Daliah sind Personen, die in voherigen Spielen eingeführt wurden und denen unerwartet wenig Screentime eingeräumt wurde. So sind ihre Auftritte zwar jedesmal überzeugend, aber keinesfalls prägend. Benachteiligt sind davon die Spieler, die neu in die Serie einsteigen, aber da diese Personen ohnehin Dreh- und Angelpunkte des Silent Hill-Universums sind, relativiert sich dieser Mangel im Zuge der fortlaufenden Konsumierung der anderen Episoden. Trotzdem ist das schade.

westliche Impulse

Überraschend ist, dass das Spiel enorm von dem westlichen Einfluss, den es durch das neue Entwicklerteam bekommen hat, profitiert. Das macht sich besonders in der gesamten dramaturgischen Führung bemerkbar. Die Handlung wird sehr strikt mit einer hohen Geschwindigkeit erzählt und kommt ohne Füllstellen aus. Diese Zielstrebigkeit wickelt den Spieler bereits nach wenigen Minuten derart um den Finger, dass es selbst Skeptikern schwerfallen dürfte, sich diesem Sog zu entziehen. Der dramaturgische Griff zerrt das Publikum unaufhaltsam in das intensive Alptraumerlebnis hinein und lässt erst dann los, wenn der Abspann über den Bildschirm läuft. Mitverantwortlich ist dafür samt und sonders der mal nervenzerreissende, mal wunderschöne Soundtrack von Akira Yamaoka, der so gut wie nie zuvor in das Spiel integriert wurde. Wann immer ein Song auftaucht, er passt immer haargenau zu der gerade dargestellten Situation; wann immer die obligatorichen hämmernden Drums einsetzen, wann immer unheimliche Flächen einsetzen: Es geschieht nie wahllos und wirkt nie deplaziert. Schon nach kurzer Zeit entwickelt sich durch den stehts präsenten Soundtrack ein atmosphärischer Flow, der die im Horrorgenre unerlässliche Stille glücklicherweise nicht vernachlässigt.
Die Dramaturgie und die inbegriffene Klimax ist den Entwicklern also hervorragend gelungen, auch wenn sich die an Abschnitten orientierte Erzählweise im letzten Drittel etwas negativ bemerkbar macht. Vergleiche mit einem gut erzähltem Film liegen sehr nahe, denn die acht Stunden Spielzeit sind schneller verflogen, als man glaubt.

Besonders erfreulich ist, dass die alternative Schattenwelt in „Origins“ wieder so furchteinflößend ist wie damals im allerersten Teil der Serie. Das begründet sich in mehreren Faktoren: Zum einen sind die Umgebungen wie gewohnt in ihrem Aufbau und ihrer Architektur sehr überzeugend und realitätsnah. Bauten wie die Psychiatrische Anstalt oder das Theater könnten der Wirklichkeit entnommen sein, was besonders dann deutlich wird, wenn man die Übersichtskarte vor Augen hat. Gerade diese Realitäsnähe macht die Orte für den Spieler greifbar und somit die Spiegelung in die alternative Schattenwelt umso beunruhigender. Bei markanten Orten wird man sich oft die Frage stellen, wie sie in der Alptraumversion dargestellt werden. Bizarre Konstrukte oder böse Überraschungen inspirieren die Erwartungshaltung des Spielers nach einer Zeit so sehr, dass die Vorstellungskraft allein nach der Betrachtung einer neuen Karte in unangenehme Richtungen gerückt wird. Ist der Keller schon in der diesseitigen Realität bedrückend, wie wird er dann erst in der Parallelwelt wirken? Was erwartet mich auf der alternativen Bühne im Theater? Oder in den Isolationskammern der Anstalt? Derartige Fragen werden mit fiesen Tricks der Entwickler noch weiter stimuliert. Ein ungenehmes Brummen hinter einer verschlossenen Tür, zu der der Schlüssel gesucht werden muss, weckt beispielsweise ebenso beunruhigende Vorahnungen wie die vielen Dokumente und Fotos, die nach und nach ein verstörendes Bild von Travis Vergangenheitsgeschichte bilden. Diese werden übrigens auch fragmentweise in Flashbacks erzählt, die plötzlichan Orten getriggert werden, an denen Travis sich als Kind befand. Eingeleitet von kratzigen Soundeffekten und dargestellt wie ein alter schwarz-weiss-8mm-Film sind diese meist interaktiven Szenen für einige der deftigen Schreckmomente verantwortlich.

Feintuning

Eingangs war im diesem Artikel von Weiterentwicklungen die Rede. Diese machen sich besonders in der Spielmechank bemerkbar, wobei keineswegs das Grundprinzip von Silent Hill zu stark verfremdet wird. So wurde das Kampfsystem aus hauptsächlich dem dritten der Serie übernommen und in Details verfeinert. Travis ist nicht nur flexibler als die damalige Heather, sondern hat auch die Möglichkeit handliche Alltagsgegenstände als Wurfwaffen zu verwenden. Tragbare Fernseher, Toaster oder Werkzeugkisten sind nur wenige Beispiele, die sich zu der obligatorischen Palette an Schlag- und Feuerwaffen addieren. Ein spannender Unsicherheitsfaktor ist die Tatsache, dass sämtliche Schlagwaffen und Wurfgegenstände bei und nach ihrem Gebrauch zerbrechen. Auch verfügen die Monster diesmal die Möglichkeit Travis sozusagen festzuhalten. Befindet sich Travis im Griff eines Gegners, muss der Spieler in einem Quick-Time-Event entweder schnell auf eine Taste hämmern oder zum richtigen Zeitpunkt einen Knopf drücken, um sich wieder zu befreien. Gelingt ihm dies nicht, wird der Spielfigur wesentlich höherer Schaden zugefügt als durch eine einfache Attacke.

Da das sehr zugängliche Inventar unbegrenzt ist, wirkt es im ersten Moment etwas befremdlich, wenn Travis sehr große Gegenstände wie etwa einen Infusionständer quasi aus dem Hut zaubert. Auch die Möglichkeit, mit bloßen Fäusten zuzuschlagen, dürfte vor allem für eingefleischte Fans zunächst ungewohnt sein. All das charakterisiert Travis zumindest als kräftigen, wehrhaften Mann, ohne ihn zum unglaubwürdigen Actionhelden zu degradieren. Das ist tatsächlich ein im Silent Hill-Universum unerwarteter Effekt, fügt sich aber zum insgesamt positiven Eindruck, dass das Kampfsystem diesmal am durchdachtesten ist. Können die Auseinandersetzungen mit den normalen Gegnern durchaus zur Gefahr werden, sind die Zwischen- und Endgegner leider viel zu leicht ausgefallen. Dies untergräbt ihre hervorragenden Einleitungen und es ist jammerschade, dass ihre erschreckende Präsenz sich nicht auf das Gameplay in Form von einer höheren Schwierigkeit übertragen wurde.

Eine weitere auffällige Neuerung im Gameplay ist die Möglichkeit mit Hilfe von Spiegeln zwischen der realen und der alternativen Welt zu wechseln. Der Effekt, dass durch die an den Spieler übertragene Kontrolle über den Wechsel die Spannung verringert wird, relativiert sich durch die vielen anderen positiven inhaltlichen Aspekte. Selbstverständlich bleibt trotzdem der aus der Serie bekannte Überraschungseffekt aus, doch wird dieses Feature so gut zum Anspornen des Explorationsdrangs und für die Rätsel genutzt, dass man diesen Kritikpunkt schnell wieder vergisst. Überhaupt befinden sich die Rätseleinlagen wieder auf einem erfreulich hohem Nivau. Manchmal fordernd, manchmal herrlich bizarr, aber nie ungeschickt plaziert, zu leicht oder zu schwer gestalten sich die gestellten Aufgaben.

Meine Güte, DAS kann die kleine PSP?

Was die Technik betrifft, so scheint „Origins“ die von der Spielerschaft bisher angenommenen Grenzen der Playstation Portable zu sprengen. Zwar sind die Gesichtsanimationen nicht so detailliert wie in den „großen“ Ablegern und die Anzahl der Polygone ist etwas geringer, aber von diesen beiden Punkten abgesehen überzeugt die Optik auf ganzer Linie. Die Taschenlampe, die Travis stehts mit sich trägt, lässt jedes Objekt in der Umgebung einen dynamischen Schatten werfen und bietet je nach Kamerawinkel einen sehr gelungenen Lensflare-Effekt. Die Kameraführung selbst ist so lobenswert wie eh und je. Sie bietet nicht nur ungewöhnliche cinematische Perspektiven, sondern lenkt die Aufmerksamkeit des Spielers auch auf bestimmte Dinge. Das rückt die sehr überzeugend gestaltete Umgebungen mit ihren guten Texturen in das richtige Licht. Teilweise sind sogar animierte Texturen zu entdecken – zum Beispiel Wänden, an denen Blut herunterläuft. Die jederzeit flüssige Darstellung, die zum verstörenden Effekt eingesetzten Verzerrungsfilter, sowie die Motion Capturing-Animationen runden das beeindruckende Gesamtbild ab. Leider waren wohl aufgrund der limitierten Hardwareleistung der PSP trotzdem der ein oder andere Clippingfehler nicht zu vermeiden. Ebenso aus dem Rahmen fallen leider die wenigen vorgerenderten Sequenzen, die zwar sehr gut gemacht sind, aber ähnliche wie bei Silent Hill 2 einen stilistischen Sprung darstellen. Andererseits wäre die Grafikengine mit den dort dargestellten Szenen wohl überfordert gewesen, insofern sind sie durchaus als annehmbarer Kompromiss zu sehen.

Ebenso überzeugt die Akustik auf ganzer Linie. Das Voice-Acting ist das bisher gelungeste aus der gesamten Serie, während illustrierende Geräusche ebenso authentisch klingen, wie gruselige Soundeffekte erschreckend. Die einwandfreie Abmischung macht sich samt und sonders über Kopfhörer bemerkbar und ist jederzeit stimmig. Gerade das Rauschen des Taschenradios, das aufkommt und lauter wird, wenn ein Gegner sich nähert, unterstützt die bedrohliche Klanguntermalung.

übertroffene Erwartungen

All die Zweifel, die die Fans im voraus an dem westlichen Entwicklerteam und an dem Konzept eines Prequels hatten, sind völlig unberechtigt gewesen. Mit dem Fortschritt als linken Lungenflügel und der Hommage als rechten atmet „Origins“ mit einer solchen Überzeugung und Vitalität, dass es ohne weiteres als einer der gelungensten Ableger der Silent Hill-Serie und als eines der furchteinflößensten Horrorspiele bezeichnet werden darf. Trotz der aufgegriffenen älteren Elemente ist das Spiel eigenständig genug, um für sich neben den anderen Episoden zu stehen. Und das ist vielleicht das größte Lob, dass man der paradoxerweise nachträglich angewachsenen Wurzel und seinen Gärtnern machen kann.

Silent Hill: Origins
Entgegen aller Befürchtungen durch den Wechsel zu einem neuem Entwickler und der technischen Limitierungen der PSP zum Trotz, hat sich "Origins" zu einem erstklassigen Prequel entwickelt, dass neben toller Atmosphäre auch neue Impulse im Game Design mitbringt.
audiovisuelle Präsentation9
Realisierung der Spielmechanik9
inhaltliche Gestaltung und dramaturgische Aufbereitung8
8.7Gesamtwertung
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