[dropcap size=small]U[/dropcap]rsprünglich als innovative Neuorientierung des Survival Horror-Genres gedacht, wurde „Forbidden Siren“ eher durch seine Unzulänglichkeiten berühmt. Eine hakelige Steuerung, ein zu undurchschaubares Gameplay und ein viel zu hoher Schwierigkeitsgrad waren neben kleineren technischen Mängeln die Hauptkritikpunkte von Fachpresse und Publikum. Selbst die zwei Jahre später in allen Belangen konsequent weiterentwickelte Fortsetzung wurde scharf kritisiert und von Spielern fast gänzlich ignoriert. Ein unbefriedigender Zustand, dem man jetzt mit „Siren Blood Curse“ entgegenwirken will: Als Remake des ersten Teils der Serie kommt das Spiel nun seinen Nörglern in allen Aspekten entgegen – und wird sich selbst dabei beinahe untreu.

Im Gegensatz zum ursprünglichen Spiel wurde der damals nur aus Asiaten bestehende Cast diesmal zum großen Teil durch Amerikaner ersetzt. Eine Gruppe von vier Personen, darunter ein zerstrittenes Paar mit ihrer Tochter, ist als kleines TV-Team nach Hanuda gereist, um für eine Fact or Fiction-Sendung einen Beitrag über die düsteren Legenden und das mysteriöse Verschwinden des Dorfes zu drehen. Doch sie staunen nicht schlecht, als sie vor Ort nicht nur die besagte Besiedlung vorfinden, sondern ebenso ein geheimnisvolles Ritual beobachten können, bei der offenbar junge Frauen geopfert werden. Schnell wird ihnen klar: Sie müssen schleunigst wieder verschwinden! Besonders weil auch viele andere Dinge an Hanuda nicht zu stimmen scheinen: Anstatt dort von freundlichen Landleuten begrüßt zu werden, finden sie stattdessen entstellte und vom menschlichen Verstand befreite Kreaturen vor, die ihnen ans Leder wollen. Auch die lokalen Umstände sind alles andere als üblich: Das gesamte Dorf ist in tiefe Dunkelheit getaucht, die Gewässer blutrot gefärbt. Manche Orte sind darüber hinaus so verrottet, als hätte dort schon lange niemand gelebt. Irgendwie scheint jeder der Protagonisten mit dem Schicksal des Dorfes verknüpft zu sein. Geheimnisse werden gelüftet, die man lieber hätte ruhen lassen sollen.

Opfer der Verwestlichung

[column size=one_half position=first ]An dem Grundprinzip der Geschichte hat sich nicht viel verändert: Eine Reihe von Charakteren trifft auf mehr oder weniger zufällige Weise in dem japanischen Dorf zusammen, deren Erlebnisse jeweils beleuchtet werden. Neben dem TV-Team findet auch ein amerikanischer Student, eine (erstaunlicherweise) westliche Priesterin und ein japanischer Arzt zum Geschehen. Mit sechs Protagonisten bleibt im Gegensatz zum Original die Besetzung überschaubar. Generell wurde die Komplexität der Dramaturgie enorm entschärft: Während man in den Prequels noch non-chronologisch das Story-Puzzle gelüftet hat, erzählt „New Translation“ die Geschichte in zwölf Episoden geordnet von vorne bis hinten.[/column]

[column size=one_half position=last ]Dabei ist dann auch die Zeittabelle gestrichen worden, die es ermöglicht hat Verbindungen zwischen den einzelnen Charakteren deutlich nachzuvollziehen und bei Verzweigungen die nächste Mission frei zu wählen. Das macht den Plot zwar wesentlich zugänglicher, doch so auf dem Silbertablett serviert geht auch einiges an Eigenanteil seitens des Spielers und somit Reiz verloren. Die Geschichte bleibt trotzdem spannend, da das Episodenformat – ähnliche wie in Alone in the Dark 5 – nicht nur geschickt weitere Einzelheiten enthüllt, sondern auch gerne mit Cliffhangern und Vorschauen arbeitet, die einen Effekt wie bei Fernsehserien entwickeln. Zudem hat sie immer noch genug Wendungen und Schocksequenzen parat, die auch erfahrene Spieler wie der Schlag treffen wird.[/column]

 

Ich weiß was Du im letztem Remake getan hast

Die Verwestlichung hat sich auch auf das Script ausgewirkt. Manche Dialoge zwischen den Figuren wirken mit ihren schlecht eingeschobenen Humoreinlagen und übertrieben vorgetragenen Monologen sehr an postmoderne Teenie-Horrorfilme, wobei der surreale Charakter bezüglich der Konversationen und zwischenmenschlichen Begegnungen des Originals auf der Strecke bleibt. Da bewahrheitet sich leider auch die Befürchtung, die Charaktere werden stärker und robuster dargestellt, als die Realität es zulassen würde: Wahren die ursprünglichen Protagonisten noch mit vielen menschlichen Makeln versehen und gerade bei Gefechten eher schwach, haben sie hier keinerlei Probleme widerliche Kreaturen niederzuschlagen und dabei noch einen flotten Spruch von den Lippen zu lassen. Mit Ausnahme des kleinen Mädchens, die sich gar nicht zur Wehr setzen kann, gewinnt jede Figur augenblicklich an ein vielfaches ihrer ursprünglichen Kraft, als auch an Selbstbewusstsein, sobald sie eine Waffe in die Hand nimmt. Gegenüber anderen Videospielhelden wirken die Figuren aus „Blood Curse“ allerdings immer noch ungewöhnlich alltäglich und sind ihnen auch in Sachen Glaubwürdigkeit voraus, doch gegenüber den ursprünglichen asiatischen Cast ist der Verlust nicht zu verleugnen.
Zudem beschränkt sich der Plot nun nur noch auf das Wesentliche und lässt vereinzelte Details aus, um nicht zu sehr vom roten Faden abzulenken. Diese Konzentration ist sicherlich förderlich für den Spannungseffekt, doch es geht gleichzeitig etwas Anreiz verloren sich intensiver mit einer glaubwürdig konstruierten Welt auseinander zu setzen. Glücklicherweise haben die Entwickler das Archiv beibehalten, bei dem es sich um ein Kollektiv an vereinzelten, im Spielverlauf gefundenen Gegenständen handelt, die man außer- und innerhalb des Spielgeschehens jederzeit einsehen kann. Das dient dazu Umstände und Vorgeschichten zu erläutern, für die in der Hektik des Hauptgeschehens keine Zeit bleibt. Zum eigentlichen Spielelement, will sagen Teil einer Mission, geraten diese Gegenstände aber selten.
Ein weitaus auffälligerer Nebeneffekt der Verwestlichung ist das stärkere Recyling der Umgebungen. Im Original war es üblich Orte ein zweites Mal zu besuchen, um den Verlauf der Geschichte anders zu beeinflussen als beim ersten Mal und somit auch andere Beziehungen in der Zeittafel zu provozieren. Die Anzahl der Orte ist allerdings mit New Translation auf ein nur gerade mal vertretbares Maß geschrumpft. Gerade wer das Spiel in einer langen Session spielt, wird möglicherweise schneller ein Dejavú erleben, als ihm lieb ist. Tragen die Wiederholungen auf der einen Seite dazu bei, dass man die Orte besser kennenlernt und reizvollerweise ihre Geheimnisse nach und nach enthüllt, können sie so aber im ungünstigen Fall kurzfristig zum Langweiler verkommen.

atmosphärisch bis zuletzt

[column size=one_half position=first ]Trotz vieler Schritte zurück gelingt es „New Translation“ allerdings trotzdem mühelos, ein unvergleichliches Erlebnis zu bieten. In zwei für Horrorspiele sehr wichtigen Aspekten hat sich das Remake nicht nur erheblich verbessert, sondern wird sich mit seiner Leistung unweigerlich in das Gedächtnis seines Publikums einbrennen: Der Technik und – allen voran – der Atmosphäre.
Hatten die vorherigen Siren-Spiele ohnehin schon erfolgreich das Gefühl von Beklemmung, der allumgebenden Bedrohung vermitteln können, so wird dies hier auf eine qualvolle Spitze getrieben. Die Idee jeden Shibito („lebende Leiche“) einen individuellen Charakter zu verleihen wurde noch stärker verfeinert. So kann man ihnen ihr ursprüngliches Leben nicht nur an ihrem Äußeren und ihren Tätigkeiten deutlicher ansehen (diese führen Sie hypnotisch aus, solange sie den Spieler noch nicht entdeckt haben), auch ihre vor sich hin stammelnden Worte geben deutliche Hinweise darauf. Der Detailgrad dieser Wesen ist vor allem optisch enorm: Wenn ein Shibito auf einen zustürmt und man im Schein seiner Taschenlampe erkennt, dass ihm das Blut aus Nase und Augen quellt, sind Gänsehautmomente garantiert. Jeder Gegner im Spiel ist anders und niemals eine Kopie einer Kopie. Stimme, Körperbewegung, Waffe, ursprüngliches Leben: Jeder von ihnen verhält sich auf seine eigene, individuelle Art.[/column]

[column size=one_half position=last ]Sehr gelungen sind ebenso die Umgebungen, die bis ins kleinste Detail fein ausgearbeitet wurden. Ob Hospital, Wohnhaus oder Geschäftsviertel: Jede noch so unwichtige Ecke ist so überzeugend gestaltet, dass bereits auf den ersten Blick ein Eindruck von Authentizität entsteht. Generell ist „Blood Curse“ in seiner künstlerischen Gestaltung sehr zielsicher und effizient. Ob Farbpalette, Texturierung. Modellierung oder Animation: Das Grafikerteam hat sich allenfalls in minimalen Details kleine Fehlgriffe erlaubt, ansonsten aber eine beeindruckende Arbeit geleistet. Samt und Sonders für Horrorspiele wichtige Details und die Licht und Schatteneffekte sind geradezu eine Wonne. Es ist enorm atmosphärisch beobachten zu können, wie Insekten um eine Küchenlampe kreisen oder der Lichtstrahl der eigenen Taschenlampe an einer reflektierenden Oberfläche gebrochen wird. Spätestens wenn bei tosenden Regen ein heftiges Gewitter die stockdunkle Umgebung für Sekundenbruchteile in gleißendes Licht legt, werden selbst verwöhnte Grafikfetischsten überwältigt sein.[/column]

 

Angst vermittelt „Blood Curse“ ebenso erfolgreich durch die akustische Ebene. Die teils sehr nach japanischen Ritualen klingende Hintergrundmusik, sowie die effizienten Klangteppiche sind wesentlich für das ständige Gefühl der Unsicherheit verantwortlich. Lobenswerterweise klingt die Musik an treffenden Stellen auch melancholisch-verträumte Melodien an. Auch in den illustrierenden Geräuschen erlaubt sich das Spiel keinen Fehltritt. Da kommen die gruseligen Effekte umso überzeugender: Ob verzerrtes Schreien, Keuchen oder Lachen: Gerade die Laute der Shibito werden des öfteren für Gänsehaut sorgen.

Ich sehe das, was du siehst

Die hervorragende Akustik macht sich besonders bei dem serientypischen Spielelement „Sight Jacking“ bemerkbar: Diese Fähigkeit, die jeder Charakter (aus mysteriösen Gründen) beherrscht, macht es möglich die Perspektive aller Gegner aus der Umgebung einzusehen. Wendet man dieses an, klingen die Geräusche dumpfer, als sei man tatsächlich irgendwie im dem Kopf des Widersachers drin. Gegenüber seinen Prequels wurde die Handhabung des „Sight Jacking“ erheblich erleichtert: Statt Manuell wie mit einer Antenne nach „Empfang“ suchen zu müssen, kann nun automatisch zwischen den Shibito durchgeschaltet werden. Konnte man sich zumindest in Siren 2 nur in Ausnahmefällen während der Gegnersicht bewegen, ist dies nun jederzeit möglich. Visuell ist das mit einem dynamischen Splitscreen gelöst, der auf der einen Seite die eigene Figur und auf der anderen die Sicht des ausgewählten Gegners anzeigt. Bewegt man sich nicht, wird der Bildausschnitt des Gegners größer. Ist das Gegenteil der Fall, vergrößert sich der eigene Ausschnitt. Um die Orientierung bezüglich der räumlichen Position zu erleichtern, ist man selbst und der aktuell beobachtete Gegner in beiden Ansichten mit einem jeweils grünen und roten Kreuz markiert.
Das „Sight Jacking“ stellt ein zentrales Spielelement der Serie dar, welches einher geht mit der Betonung auf Schleichen. Wer radikal einfach ins Getümmel läuft wird meist wenig Chancen haben. Stattdessen ist behutsames Vorgehen in den allermeisten Fällen der geeignete Weg zum Ziel. Aber auch in diesem Punkt wurde „Blood Curse“ einfacher: Mit einer Hieb- oder Schusswaffe in der Hand senkt sich der Schwierigkeitsgrad augenblicklich erheblich und man hat – etwas Geschick am Gamepad vorausgesetzt – deutlich die Oberhand. Das ist für ein Horrorspiel leider zu beruhigend und nimmt der Spannung oft den Stachel. Allerdings sind als Ausgleich andere Elemente beibehalten worden. Etwa, dass man Türen wieder verschließen und sich zur Abwehr angreifender Gegner dagegen lehnen kann. Oder dass man, wenn man von einem anderen Charakter begleitet wird bzw. diese beschützen muss, ihnen bei Klettereinlagen bei zu hohen Vorsprüngen helfen muss oder Kurzbefehle erteilen kann. Dazu zählt auch „Versteck Dich!“; eine Taktik, die einem selbst ebenso zur Wahl steht. „Blood Curse“ bietet dem Spieler mehr Möglichkeiten für die Defensive, als für die Offensive und signalisiert damit deutlich seinen Fokus. Schön, dass es trotz der Vereinfachungen und Verwestlichungen trotzdem dabei geblieben ist.

Siren: Blood Curse
In Art Design und Technik sehr beeindruckendes Remake, dass durch die aufgezwungene Verwestlichung aber leider in Sachen Atmosphäre einige Abstriche machen muss.
audiovisuelle Präsentation9
Realisierung der Spielmechanik7
inhaltliche Gestaltung und dramaturgische Aufbereitung7
7.7Gesamtwertung
Leserwertung: (1 Judge)
10.0